Welche Rolle nimmt die Vergangenheit in Spielen ein?

In Computerspielen können Spieler virtuelle Welten durch Interaktion beeinflussen. Nicht selten wird der Eindruck historischer Authentizität über historische Filmaufnahmen, Bilder oder Zeitungsausschnitte suggeriert, oder der Verlauf der Geschichte steht im Mittelpunkt des Geschehens.

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Das Computerspiel hat sich mit seinen neuen Erzählformen als relevantes Medium in unserer Gesellschaft durchgesetzt. Die Spielenden können die virtuellen Welten durch Interaktion beeinflussen und übernehmen eine aktive Rolle. Nicht selten wird der Eindruck historischer Authentizität über historische Filmaufnahmen, Bilder oder Zeitungsausschnitte suggeriert, oder der Verlauf der Geschichte steht im Mittelpunkt des Geschehens.

Um die Frage, welche Rolle die Vergangenheit in Spielen einnimmt, zu beantworten, haben wir Dr. Wolfgang Egner der Abteilung für Geschichte und Soziologie an der Universität Konstanz interviewt. Egner erklärt, dass keine allgemeinen Aussagen getroffen werden können.

Manche Produktionen versuchen, möglichst nah an den Ergebnissen der Geschichtswissenschaft zu bleiben, während andere lediglich mit klischeehaften oder erfundenen Versatzstücken arbeiten, die mit vergangenen Zeiten kaum mehr gemeinsam haben als die Epochenbezeichnung (z. B. Die Sims: Mittelalter, Electronic Arts 2011).

In anderen Spielen bilden geschichtliche Ereignisse einen Rahmen für eine eigene, meist nicht historische Erzählung (z.B. Assassin’s Creed Serie, Ubisoft). Man begleitet gewissermaßen historische Abläufe bzw. es wird suggeriert, dass man Geschichte „nacherlebt“ (z.B. Call of Duty Serie, Activision). Oft funktioniert die Spielmechanik so, dass der Verlauf der Geschichte von einem gewissen Startpunkt aus neu geschrieben wird (z.B. Europa Universalis Serie, Paradox Interactive).

Die meisten Spiele sind kontrafaktisch und basieren auf erfundenen Was-wäre-wenn-Szenarien. Diese sind für die Konsumenten ein zentrales Element für ihren Spielspaß. Wir alle haben uns sicher schon mehrfach die Frage gestellt, wie unser Leben heute aussehen würde, hätten wir eine wichtige Entscheidung anders getroffen. „Dies wird in solchen Simulationen auf die Geschichte als Ganzes übertragen und erzeugt scheinbare Antworten auf diese spannenden Fragen“, erklärt Egner.

Fakten aus der echten Welt werden bei der Konstruktion von Spielwelten übernommen. Sie bilden sozusagen den Grundstock, aus dem die digitalen Welten gebildet werden. Diese Fakten spielen daher eine große Rolle, da sie sozusagen das Fundament des Spiels darstellen, und bereits bei Beginn der Entwicklung gesetzt werden.

Die meisten Spielwelten sind eine - wenn auch schwache - Reflektion unserer Gesellschaft. Jede Kunst oder Konsumform entsteht notwendigerweise aus dem gesellschaftlichen Kontext, und daher legen digitale Spiele auch Zeugnisse über unsere Gesellschaften ab.

Starke Reflektionen gibt es nur in wenigen Spielen, die sich bewusst kritische Gedanken über unsere Gesellschaft oder die Vergangenheit machen. Produkte, deren Hauptziel die Gesellschaftskritik ist, verkaufen sich meist nicht gut. In Spielen und anderen Medien ist daher die Kritik an der Gesellschaft sehr subtil eingebaut. In der westlichen Gesellschaft gilt momentan der Konsens, dass Gesellschaftskritik die Hauptaufgabe der Printmedien und mittlerweile auch von Filmen ist.

Computerspiele sind sehr unterschiedlich und können in unterschiedlichen Hinsichten als misslungen oder gelungen, als förderlich oder schädlich, angesehen werden. Woran kann man erkennen, ob Computerspiele förderlich und gelungen sind?

„Als Historiker würde ich als förderlich bezeichnen, was historische Informationen in adäquater Weise vermittelt. Gelungen wären in diesem Sinne Produkte, die historisch-kritisches Denken fördern und nicht nur ein deterministisches Bild von geschichtlichen Abläufen vermitteln“, erklärt Egner.

Das wichtigste Kriterium für ein gelungenes, historisches Computerspiel ist für den Historiker die Beantwortung der Frage, ob dem Konsumenten die Trennlinie zwischen historischen Fakten und fiktionalen Inhalten gezeigt wird oder eine bewusste Verschleierung erfolgt. „Letzter Fall kann sich fatal auf die Geschichtsbilder unserer Jugend auswirken, die nun vielleicht viele Details über die Renaissance kennt, aber womöglich auch Ezio Auditore (Assassin’s Creed Serie, Ubisoft) für eine historische Person hält. In diesem Sinne ist es weiterhin wichtig, an unser aller Medienkompetenz zu arbeiten“, warnt Egner.

Mehr über die Interviewten

Wolfgang Egner studierte Geschichte, Philosophie und Politikwissenschaft mit einem Staatsexamensabschluss an der Universität Konstanz. Er promoviert ebenfalls an der Universität Konstanz. Seine Dissertation wird ihm Rahmen des neu gegründeten Doktorandenkollegs „Europa in der globalisierten Welt" am Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration" verfasst.

Das alugha Team bedankt sich für das Interview. Wir freuen uns auf Fragen und Anregungen! Hast du Interesse, einen Gastbeitrag zu schreiben? Schreib einfach eine E-Mail an: gastbeitrag@alugha.com

Vielen Dank fürs Lesen!

Wilgen

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