Gelebte Mehrsprachigkeit -- Teil 2: Gabriella erzählt

Es ist wieder einmal an der Zeit mit mehrsprachigen Personen über ihren Alltag zu reden. Heute geht es um die bezaubernde deutsch- und italienischsprachige Gabriella.

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"Ich bringe den kalabrischen Dialekt nicht über die Lippen"

Gabriella (Name von der Redaktion geändert) ist eine kleine quirlige Frau mit dunklen Locken und heller Haut, die einem auf Anhieb sympathisch ist. Geboren wurde sie 1992 in Süddeutschland als erstes Kind kalabrischer Eltern, die 1988 nach Deutschland kamen. Noch heute lebt sie in ihrer Nähe und arbeitet als Redakteurin bei einer Wochenzeitung. “Ich bin in Deutschland geboren und werde wahrscheinlich in Deutschland auch sterben. Aber damit lasse ich mir noch Zeit”, sagt sie. “Aber in früher Kindheit habe ich ausschließlich Italienisch gelernt. Erst im Kindergarten kam dann noch Deutsch dazu.” Sie erzählt weiter, dass ihre Eltern sich zunächst bemühten Standarditalienisch zu sprechen, aber schließlich dann ihren kalabrischen Dialekt weiter sprachen. “Diesen bringe ich allerdings nicht über die Lippen. Ich kann nur Standarditalienisch.” Unsere Unterhaltung ist lebhaft, wir lachen und scherzen viel. Dann fährt Gabriella fort: “Inzwischen spreche ich zu Hause viel Deutsch. Mein Vater spricht mich auf italienisch an, aber ich antworte auf deutsch. Mit meiner Mutter und meinem Bruder spreche ich auch deutsch. Auch mein Bruder handhabt das so. Meine Mutter kann sehr gut deutsch. Sie lebte aber bereits in ihrer Jugend für einige Zeit in Deutschland, weil ihr Vater einst als Gastarbeiter herkam. Einer meiner Onkel ist in jener Zeit auch in Deutschland geboren. Mein Vater hingegen konnte bei seiner Ankunft kein deutsch. Bei der Arbeit hatte er viel Kontakt mit Italienier:innen und sprach so auch viel Italienisch. Einen Deutschkurs besuchte er nie. Er lernte es bei der Arbeit.” 

"Meine Muttersprachen sind Deutsch und Italienisch"

Gabriella erzählt auch, dass sie zunächst die örtliche Grundschule, später dann eine Realschule und anschließend auch ein Gymnasium in der Region besuchte. “Der Unterricht in der Schule fand auf deutsch statt. Aber uns wurde an zwei Nachmittagen in den Räumen der Grundschule angeboten Italienischunterricht zu nehmen. Dort lernte ich auch die italienische Schriftsprache besser kennen. Ich nahm dieses Angebot bis einschließlich zur fünften Klasse wahr. Danach hatte ich nachmittags so viel regulären Unterricht, der sich immer mit dem Italienischkurs überschnitt. So konnte ich das Angebot nicht mehr wahrnehmen. Hätte ich bis zu meinem Schulabschluss Unterricht genommen, wäre mir auch ein Zertifikat ausgestellt worden.” Wir reden über den zunehmenden Nachmittagsunterricht in der gesamten Gesellschaft, der inzwischen teilweise auch an Grundschulen stattfindet. Ob sich das Angebot des Italienischunterrichts verändert hat, weiß sie nicht. Sie ist dankbar, dass es dies damals gab und sie es zumindest für eine Zeit wahrnehmen konnte. Ihre Bildungssprache sei jedoch eindeutig deutsch. Mit dieser Sprache hat sie sich auch am meisten beschäftigt. Auch während ihres Linguistikstudiums beschäftigte sie sich mehr mit dem Deutschen als mit dem Italienischen. Die meisten Seminare fanden in deutscher Sprache statt. Die Literatur war auf Englisch und Gabriella meint, dass Englisch als Bildungssprache irgendwann dazukam. Vor allem sei es aber deutsch. In dieser Sprache träumt sie auch.

Als ich Gabriella frage, ob sie mit dem Begriff “Muttersprache” etwas anfangen kann, oder eher die Begriffe Sprache A.,B., … bevorzuge, antwortet sie, dass ihr der Begriff “Muttersprache” durchaus gefällt. Sie würde, wenn man sie nach ihrer Muttersprache fragt, immer antworten, dass es deutsch und italienisch ist. Als ich sie wiederum frage, in welcher Sprache sie kleine Kinder oder Tiere spontan ansprechen würde, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen: “Deutsch.” Dann überlegt sie. “Wenn ich in Italien wäre, dann wahrscheinlich italienisch. Aber den Babys ist es ja egal, welche Sprache ich spreche. Also doch eher deutsch.”

"Ich bin manchmal verrückt geworden und fragte mich oft, ob eine Schreibweise nun die spanische oder die italienische ist."

Wir setzen unser Gespräch fort. Gabriella erzählt mir, dass sie in der Schule Englisch und Spanisch lernte. Spanisch fiel ihr leicht. Sie verstand das meiste auf anhieb. Allerdings verwechselte sie es, besonders wenn sie schrieb, mit dem Italienischen. “Nehmen wir beispielsweise das Wort famiglia. Auf Italienisch schreibt man es mit g, auf Spanisch ohne. Ich bin manchmal verrückt geworden und fragte mich oft, ob die Schreibweise nun die spanische oder die italienische ist.”

"Ich erfinde gerne Wörter auf deutsch"

Wie bereits im Gespräch mit A. erzähle ich auch Gabriella von der mehrsprachigen Schriftstellerin, die sich die einzelnen Sprachen als Räume vorstellt, deren Türen sie unterschiedlich weit öffnen oder auch schließen kann, je nachdem, inwieweit sich die Sprachen beeinflussen sollen. Ich frage sie, ob sie mit dem Bild etwas anfangen kann, oder ob sie eine komplett andere Vorstellung davon hat. Ihr gefällt diese Vorstellung, meint aber auch, dass in ihrem Kopf die Räume offen sind und keine Türen haben. “Es ist des Öfteren so, dass ich nur ein deutsches oder nur ein italienisches Wort parat habe. Zu Hause ist das kein Problem, aber meine Mitmenschen, die entweder nur deutsch oder nur italienisch können, sind ab und an verwirrt.” Wir schmunzeln und ich frage sie, in welcher Sprache sie am liebsten flucht. Gabriella antwortet mir prompt: “Italienisch! Auf Italienisch flucht es sich besser. Aber auf der anderen Seite erfinde ich gerne Schimpfwörter. Das geht auf deutsch besser. Ich sage dann gerne mal “Fischkopf”, wenn ich mich über jemanden aufrege.” Man merkt, dass das Deutsche die Sprache ist, mit der Gabriella am kreativsten umgehen kann. Mit dem Deutschen muss sie sich auch im Berufsleben befassen. Sie ist Redakteurin und somit auch Wortakrobatin.

"Ich sage oft der Schwein, statt das Schwein."

“Ab und an habe ich jedoch Schwierigkeiten mit den Genera. Im Italienischen gibt es ja kein Neutrum. Ich verwende auch im Deutschen “das” seltener. Ich benutze stattdessen der und sage manchmal der Schwein statt das Schwein (italienisch: il maiale) Mein Kollege zieht mich damit dann immer auf.” 

Ich frage Gabriella noch, ob ihr manchmal Ausdrücke fehlen, die es nur in einer Sprache gibt. “Ja,” antwortet sie nach längerem überlegen. “Ich vermisse im Deutschen den Ausdruck “uffa”, mit dem man im Italienischen Genervtheit ausdrücken kann. Er lässt sich vielleicht mit “oh man” oder “das hat mir gerade noch gefehlt” übersetzen.” Sie bemerkt des Weiteren, dass ihr im Italienischen Begriffe fehlen, insbesondere wenn diese nicht in ihrem Interessenfeld liegen. “Begriffe aus der Flora und Fauna sind Beispiele für mir fehlende Begriffe. Aber die kenne ich auf deutsch auch nicht so gut.” Sie versucht jedoch auch sich im Italienischen weiterhin zu bilden. Sie liest Zeitungen auf italienisch, hört italienische Musik, sieht sich italienische Nachrichten an. Außerdem telefoniert sie regelmäßig mit ihren Verwandten in Italien, die ausschließlich italienisch sprechen.

Sprache als Teil der eigenen Identität

Gabriella hat noch keine Kinder. Wenn sie aber dereinst welche haben wird, möchte sie gerne das Italienische an sie weitergeben. “Es hat auch etwas damit zu tun, woher man stammt. Das Italienische ist ein Teil meiner Identität und somit auch derer meiner Kinder. Es ist für mich ganz natürlich das weiterzugeben.” Sollte es auch Angebote in Form von Italienischkursen oder sonstiger Bildung zu italienischer Sprache und Kultur geben, möchte sie ihre Kinder darin bestärken sie wahrzunehmen. 

Zudem frage ich Gabriella, welche Sprachen sie ihres Studiums noch gelernt hat und ob sie sich vorstellen könnte, noch weitere Sprachen zu lernen: “Ich habe im Studium noch Baskisch, Sanskrit und Arabisch gelernt”, antwortet sie. “Arabisch war eine besondere Herausforderung. Die Schrift gefiel mir sehr, ebenso wie die Tatsache, dass man von rechts nach links schreibt. Ich bin Linkshänderin und habe dabei nichts verwischt. Das Phoneminventar war auch sehr besonders. Es fiel mir nicht immer leicht Gaumen- und Kehllaute auszusprechen. Allgemein fand ich aber die Kurse an der Universität nicht so gut. Man hat nicht so viel gelernt, aber trotzdem waren sie viel Arbeit. Auch gab es wenig Seminare in der jeweiligen Sprache. Das war sehr schade, denn als Linguist*in muss man sich viel mit Sprache beschäftigen… Auch habe ich an der Universität einen Portugiesischkurs besucht. Das würde ich gerne vertiefen. Das Portugiesische ist als romanische Sprache dem Spanischen und Italienischen ähnlich, aber es ähnelt den beiden Sprachen meiner Meinung nach weniger als das Spanische und das Italienisch einander ähnlich sind. Das finde ich sehr spannend. Nasalvokale kann ich allerdings nicht so gut aussprechen. Was ich auch gerne lernen würde, wäre Mandarin, schon allein um die Struktur einer weiteren Sprache kennenlernen zu können.” Gabriella und ich setzen unser Gespräch fort. Wir reden von arabischen Dialekten, die sich teilweise so stark unterscheiden und ich erzähle ihr schließlich, dass eventuell das Maltesische als semitische Sprache mit vielen italienischen Einflüssen etwas für sie sein könnte. Das wusste sie nicht und meint, dass sie sich das mal anschauen könnte.

Sprachen lernen für gegenseitiges Verständnis

Ich kann Gabriella sehr gut verstehen und frage sie schließlich, ob sie sich etwas seitens der Politik oder der Gesellschaft etwas für sich, ihre Familie, ihr soziales Umfeld oder auch die Gesamtgesellschaft in Bezug auf Mehrsprachigkeit oder Mehrsprachigkeitsförderung wünscht. Ihre Antwort ist lang und ausführlich. “Ja”, sagt sie. “Ich wünsche mir diesbezüglich viel. Ich hatte noch das Glück, dass ich die Möglichkeit hatte durch den Nachmittagsunterricht mein Italienisch auszubauen. Ich wünsche mir, dass so etwas überall und für verschiedene Sprachen angeboten wird. Hierzu wäre es ratsam seitens der Kommune zu schauen, in welchen Sprachen am meisten Bedarf ist. Außerdem sollten die Kurse für alle Kinder, die die Sprache lernen wollen, kostenfrei zugänglich sein. Nicht nur für die jeweiligen Minderheiten. Dies würde sicherlich das Verständnis untereinander fördern.” Dann fügt sie hinzu: “Ich habe ja einen nicht sehr deutsch klingenden Vornamen und muss oft erklären, warum ich so heiße. Ab und an bekomme ich auch Sätze zu hören, wie “für eine Italienerin bist du aber blass”, was im weiteren Sinne durchaus als Rassismus aufgefasst werden kann. Dazu kommt noch, dass mit meinem Namen ständig gespielt wird. Ich habe ein dickes Fell, aber das prallt sicherlich nicht an allen ab. Deshalb müssen auch die Sprachen der Einwander:innen gefördert werden.” Wir sprechen weiter, kommen auf die Idee, dass auch Presseberichte und Nachrichten der deutschen staatlichen Medien in die jeweiligen Sprachen der Minderheiten, egal ob allochthon oder autochthon, übersetzt werden sollten. Wir malen uns ein Bild der Toleranz und Menschlichkeit aus und wollen in den mehrsprachigen und interkulturellen Dialog treten.

 

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Bildquelle: Annie Spratt via Unsplash

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