Linguistik zum Snacken: Was ist Sprachwissenschaft -- Ganz Grundsätzliches zu Beginn

Dies ist der Beginn einer größeren Reise, auf der wir lernen, womit sich die Sprachwissenschaft eigentlich beschäftigt. Wir starten mit Grundlagen und begeben uns dann etwas tiefer in einzelne (Teil-)Gebiete oder arbeiten interdisziplinär. Du darfst gerne mitentscheiden, wo unsere einzelnen Stationen sein können.

Read this article in: Deutsch, English, Français

Estimated reading time:17minutes

Seit ich bei alugha ein wenig den Content auf dem Blog gestalte, schreibe ich auch immer wieder über Sprachwissenschaft und versuche über die Einzelsprachen hinaus zu blicken. Aber was ist Sprachwissenschaft eigentlich?

Vorab: ein paar Begriffe aus dem deutschsprachigen Raum zur Klärung

Parallel zum Begriff Sprachwissenschaft findet man im deutschsprachigen Raum auch den der Linguistik. Grundsätzlich gibt es keine strenge Regelung bezüglich der Begriffe und zumindest werden diese beiden auch synonym gebraucht. Oftmals werden die beiden aber insofern unterschieden, als Sprachwissenschaft oftmals für die Beschäftigung mit der Sprache und dem Sprachgebrauch als kulturelles und gesellschaftliches Phänomen verwendet wird, wohingegen unter Linguistik  die reine Systemlinguistik verstanden wird, was bedeutet,  dass sie sich rein mit der Struktur und Funktion von Sprache in Abhängigkeit von verschiedenen Variablen befasst. 

Sprache als Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft

Wenn in der Linguistik von Sprache gesprochen wird, wird darunter ausschließlich die menschliche Sprache verstanden. Programmiersprachen und die Kommunikation unter Tieren werden hierbei ausgeschlossen. Bereits Wilhelm von Humboldt charakterisierte die Sprachfähigkeit des Menschen als besondere Einzigartigkeit. Was macht die menschliche Sprache jedoch so einzigartig? Dazu gehören mehrere Komponenten:

  • Hinter der menschlichen Sprache steht eine bewusste Mitteilungsabsicht

  • Mithilfe der menschlichen Sprache ist es möglich auch über Zeitliches zu sprechen, das gar nicht im Hier und Jetzt stattfindet. 

  • Menschliche Sprache kann kreativ verwendet werden. Es können einzigartige Sätze gebildet werden, oder es ist mögliche neue Wörter zu erschaffen.

  • Menschliche Sprache kann metasprachlich verwendet werden, das heißt, dass es mithilfe der Sprache möglich ist über Sprache zu sprechen.

Konkreten Zugang zum Phänomen Sprache bekommt man aber nur in Form von konkreten Äußerungen in Einzelsprachen. 

Wir alle haben ein unbewusstes Wissen über Sprache. Der Erwerb unserer Muttersprache vollzog sich im Kindesalter unbewusst und intuitiv und scheinbar mühelos. Als wir später eine Fremdsprache lernten, hatten wir deutlich mehr Mühe. Über unsere Muttersprache wissen wir ferner intuitiv, welche Äußerungen wohlgeformt oder grammatisch sind und welche es nicht sind. Hier ein Beispiel:

  1. Ich esse einen Apfel. ist ein grammatischer deutscher Satz. *Esse einen Apfel ich. hingegen nicht. Ungrammatische Sätze werden übrigens mit * gekennzeichnet. 

Eine große Aufgabe der Sprachwissenschaft ist es somit implizites Wissen über die Sprache explizit zu machen. 

Das Phänomen Sprache selbst kann auf viele verschiedene Weisen untersucht werden. Es gibt zahlreiche Theorien dazu und noch mehr Blickwinkel, aus denen man darauf schauen kann. Jede dieser Theorien und Weiterentwicklungen derselben im Einzelnen vorzustellen, würde den Rahmen eines Artikels, aber auch der ganzen Serie sprengen. Wenn du mehr zu einzelnen Herangehensweisen wissen möchtest, kannst du das gerne kommentieren und so kann ich mir etwas herauspicken und wir können noch einmal tiefer in die Materie gehen. 

Strukturalismus

Eine der bekanntesten Theorien zur Sprache, der sprachwissenschaftliche Strukturalismus,  geht auf den Schweizer Linguisten Ferdinand de Saussure (1857-1913) zurück. Demnach besteht Sprache aus einem Repertoire bedeutungstragender Einheiten (mentales Lexikon) und einem Regelapparat (mentale Grammatik). Dies alles ist implizit. Wenn mittels Sprache kommuniziert wird, so wird auf Dinge verwiesen, die den Sprecher:innen und Hörer:innen nicht immer zur Hand ist. Die Sprache ist somit ein Zeichen, das nicht für sich selbst steht, sondern auf etwas verweist. 

Zur Illustration: Der Maler René Margritte gilt als der Philosoph unter den Malern. Eines seiner bekanntesten Werke  ist La trahison des images (Der Verrat der Bilder). Abgebildet ist darauf eine Pfeife mit dem darunter stehenden Schriftzug “Ceci n’est pas une pipe” (“Dies ist keine Pfeife”). Dies ist deswegen keine Pfeife, da es sich dabei um keine reale Pfeife handelt, die man mit Tabak stopfen und rauchen kann, sondern lediglich um ein Abbild einer solchen. 

Nach Saussure besteht ein sprachliches Zeichen aus den Komponenten Ausdruck und Inhalt, welche unmittelbar miteinander verbunden sind. Die Besonderheit des sprachlichen Zeichens liegt darin, dass die seine Ausdrucksseite nichts direkt mit dem zu tun hat, wofür sie steht. Man spricht hier auch von der Arbitrarität, der Willkür. Immanuel Kant würde in seiner “Kritik der reinen Vernunft” sagen: “Begriffe ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.” So haben beispielsweise Begriffe wie “libro”, “livre”, “sefer”, “kniga” nichts direkt mit einem Buch zu tun. Spricht man die jeweiligen Sprachen nicht, kann man damit sehr wenig anfangen. “Begriffe ohne Inhalt sind leer” wären Kants Worte dazu. Der Inhalt, oder das concept oder signifié/Signifikat ist jedoch nicht der Gegenstand selbst, sondern nur die Bedeutung des Begriffs, des Signifiants/Signifikants. Die Beziehung zwischen Signifiant und Signifié besteht jedoch auf gesellschaftlichen Übereinkünften. Wir haben also als Sprachgemeinschaft beschlossen, dass wir zu Buch “Buch” sagen oder eben “livre” als französischsprachige Gemeinschaft. 

Was Saussure jedoch ausklammert, ist der Bezug zwischen dem sprachlichen Zeichen zur realen Welt und zu dem*der Zeichenbenutzer:in. Odgen & Richards (1923/1966) haben aus diesem Grunde das semiotische Dreieck weiterentwickelt. Dieses semiotische Dreieck veranschaulicht die Beziehung zwischen dem Zeichen, der bezeichneten Sache und dem Zeichenbenutzer*der Zeichenbenutzerin. Dieses Dreieck enthält zusätzlich zu signifiant und signifié noch die Komponente des Referenten, der außersprachlichen Wirklichkeit und eben des Zeichenbenutzers*der Zeichenbenutzerin, der*die die Beziehung zwischen den beiden herstellt.

Sprache als kognitive Fähigkeit -- Eine kurze Einführung in die generative Sprachwissenschaft

Noam Chomsky, der Begründer der generativen Sprachwissenschaft (Dies ist eine der gängigen Theorien, mit denen die Sprachwissenschaft arbeitet. Dies alles ist aber nicht unumstritten, ebenso wenig wie die Universalgrammatik, die wir uns ebenfalls kurz anschauen werden. Dennoch werden und wurden seine Ideen weiterentwickelt.), sieht das Phänomen Sprache, ebenso wie bereits vor ihm einige Köpfe, nicht als statisches Phänomen, sondern als ein dynamisches. Chomsky interessierte sich besonders dafür, wie Sprache im Gehirn der Sprechenden erzeugt werden und wie sie auf ihre mentalen Repräsentationen zurückgreifen können. Die Sprache wurde somit nicht nur ein gesellschaftlicher Untersuchungsgegenstand, sondern ein kognitiver, der sich somit auch und vor allem auf das Individuum bezieht. 

Betrachtet man schließlich die Sprache als Teil der Kognition, ist es naheliegend auch die Entwicklung der Sprachfähigkeit zu erforschen. Hiermit knüpfen wir auch wieder an den Anfang an. Unser Erstspracherwerb vollzieht sich scheinbar mühelos und deutlich schneller als der Erwerb einer Fremdsprache. Ohne besondere Anleitung zu grammatischen Regeln, können bereits Kleinkinder mehr oder minder komplexe Sätze fehlerfrei bilden. Daher wird angenommen, dass der Mensch über eine gewisse angeborene Sprachfähigkeit verfügt. So können Kinder bereits generalisieren z.b. schenken-geschenkt. Allerdings passiert es auch, dass Kleinkinder übergeneralisieren und Formen bilden wie trinken-getrinkt (quasi analog zu geschenkt). Was jedoch auch unumstritten ist, ist dass ein Kind auf einen gewissen sprachlichen Input angewiesen ist, das heißt, dass das Kind bekommt sprachliche Äußerungen durch seine sprachliche Umgebung mit. Allerdings produzieren Kinder bei richtigen Äußerungen im Input dennoch falsche Äußerungen. Darüber hinaus hören Kinder auch fehlerhaften Input, wohingegen der Output trotzdem richtig ist. 

Zudem geht Chomsky (1981, 1986) davon aus, dass der Mensch über eine angeborene Universalgrammatik verfügt (Dies ist nicht unumstritten, würde hier jedoch den Rahmen sprengen). Diese Universalgrammatik kann man sich als ein Set aus Prinzipien vorstellen, die für alle Sprachen der Welt gültig sind. Betrachten wir hier zum Beispiel eine Phrase wie: “einen Apfel essen”. Ein Prinzip, das auch sprachübergreifend gilt, ist dass es sich hierbei um eine Verbalphrase (VP) handelt, die nach einem bestimmten Schema aufgebaut ist. Betrachtet man jene Phrase ein einer anderen Sprache, zum Beispiel Französisch, dann lautet sie “manger une pomme”. Das Verb ist hierbei an einer anderen Stelle, als im Deutschen. Das Verb ist der Kopf dieser Phrase und steht im Französischen vor, und im Deutschen nach dem Objekt. Chomsky geht nun davon aus, dass durch den Input in die Universalgrammatik bestimmte Parameter gesetzt werden, die beispielsweise zeigen, an welcher Stelle das Verb steht. 

Dies war ein stark vereinfachter Überblick über Chomskys Prinzipien- und Parameter-Modell. 

Kerngebiete der Sprachwissenschaft

Die Linguistik lässt sich in verschiedene Disziplinen unterteilen, die teilweise wiederum noch mehr aufgesplittet werden oder erweitert werden können. Ich zeige hier nur die wichtigsten Kerngebiete auf.

  • Die Phonetik befasst sich mit der Produktion, der Übermittlung und der Wahrnehmung der sprachlichen Laute.

  • Die Phonologie untersucht die Lautstruktur und die Systemhaftigkeit der Laute.

  • Die Morphologie befasst sich mit der Struktur von Wörtern und Wortformen

  • Die Syntax untersucht die Struktur von Sätzen und Phrasen

  • Die Semantik untersucht die Bedeutung der sprachlichen Äußerungen

  • Die Lexikologie untersucht den Wortschatz

  • Die Pragmatik beschäftigt sich mit der Angemessenheit der sprachlichen Äußerungen in einem gewissen Kontext.

So, das war nun ein wenig “Snackable linguistics”. Die oben genannten Kerngebiete schauen wir uns in folgenden Artikeln genauer an. 



#alugha

#everyoneslanguage

#multilingual

 

Quellen und weiterführende Literatur:

Chomsky, Noam. 1981. Lectures on Government and Binding. Berlin: Mouton de Gruyter

Chomsky, Noam. 1986. Knowledge of Language: Its Nature, Origin, and Use. New York: Praeger

Gabriel, Christoph & Trudel Meisenburg. 2007. Romanische Sprachwissenschaft. Paderborn: Fink

Odgen, Charles K & Ivor A. Richards. 1923/1966. The Meaning of Meaning. 10th edition. London: Routledge, 1966

de Saussure, Ferdinand. 1916/1982. Cours de linguistique générale. Publié par Bally, Charles & Sechehaye, Albert. Edition critique par Tullio de Mauro. Paris: Payot

https://finno-ugristik.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/a_finno_ugristik/Studium/skriptum_sprachwissenschaft.pdf (03.09.2021, 09:09)

https://user.uni-frankfurt.de/~kentner/EinfLing/EinfLing1.pdf (03.09.2021, 09:10)

 

Bildquelle: Waldemar Brandt via Unsplash

 

 

 

CodeNameViewsPercentage
engEnglish51 51%
deuDeutsch39 39%
fraFrançais10 10%
Total100100%

More articles by this producer