In wie weit beeinflusst Sprache unser Denken?

Wie beeinflusst unsere Muttersprache unser Denken? Bist du durch eine differenzierte Sprache automatisch intelligenter?

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Differenzierte Sprache macht nicht intelligenter, aber es lässt dich die Welt anders wahrnehmen und Gedanken formulieren, die jemand anders eventuell nicht zu Stande bekommt. Unsere Muttersprache definiert bis zu einem gewissen Grad, wie wir die Welt um uns wahrnehmen und verstehen.

Die Sprache der Aborigines in Pormpuraaw Shire im Norden Australiens enthält keine Richtungsbegriffe, wie Links und Rechts. Die Pormpuraaw würden sagen, "der Löffel liegt nördlich von der Schüssel" oder "auf deinem westlichen Fuß krabbelt eine Spinne". Wenn man ein Kind aus dieser Kultur nach einer Himmelsrichtung fragt, antwortet es richtig. Die Kinder wachsen damit auf und haben daher ihren inneren Kompass immer ausgerichtet. In unserer europäischen Kultur ist es selbst für hochgebildete Forscher und Wissenschaftler nicht selbstverständlich zu wissen, in welche Himmelsrichtung sie gerade blicken.

Dieser innere Kompass beeinflusst auch, wie diese Personen Zeit wahrnehmen. Würde man eine spanische Person bitten, einzelne Bilder einer Person, von Jung nach Alt zu sortieren, würde diese Person die Bilder sehr wahrscheinlich von links nach rechts - entsprechend der Schreibrichtung - sortieren. Eine Person aus dem Libanon, würde von rechts nach links sortieren. Aber eine Person, die nur Himmelsrichtungen kennt, sortiert die Bilder von Osten nach Westen - je nach Sitzrichtung also von links nach rechts, oder oben nach unten, usw. All diese Personen unterscheiden sich nicht in Punkto Intelligenz, sondern verstehen ihre Umwelt nur anders.

Es gibt Sprachen, die keine Zahlenwörter haben. Sie unterscheiden nur wenig oder viel von etwas. Auch Farbbegriffe sind in verschiedenen Sprachen unterschiedlich. Was für Engländer einfach nur Blau ist, ist für Russen entweder Hell- oder Dunkelblau. Abgesehen von der Kultur ist es auch wichtig, in welchem Berufszweig man arbeitet. Ein Modedesigner unterscheidet aufgrund seiner Ausbildung in viel mehr Blautöne, als der Russe oder Engländer, weil er diese Unterscheidungen in seinem Berufsalltag benötigt. Das bedeutet nicht, dass der Designer mehr Farben sehen kann, er weiß nur sie in verschiedenen Begriffen sprachlich zu definieren.

In George Orwells Roman "1984" versucht der totalitäre Staat die Gedanken seiner Bürger durch die Einführung der neuen Sprache "Neusprech" zu kontrollieren, mit dem Ziel am Ende das selbstständige Denken zu unterdrücken. Wörter werden vereinfacht, viele gestrichen oder so umformuliert, dass Sie psychologisch einen gegenteiligen Effekt bewirken. Auch Aussprache und Betonung werden standardisiert, wodurch ein monotones Sprechen, ohne Emotion erreicht werden soll. Wenn unter diesem System also jemand beim Sprechen zögert oder die Stimme erhebt, fällt er sofort auf. Diesen Menschen kann unter Umständen ein "Gedankenverbrechen" unterstellt werden, den ein Ausbrechen aus der Monotonie geschieht nicht ohne Grund. Im Buch wird sogar die Literatur aus der Vergangenheit in dieser neuen Sprache neu verfasst, sodass Wörter, die der politischen Gesinnung widersprechen, aus dem Bewusstsein der Menschen verschwinden. Wenn das Konzept des Widerstands nicht in Worte gefasst werden, kann man dann darüber nachdenken?

Wofür fehlen uns Menschen in der Realität die Wörter? Welche Konzepte können wir nicht verstehen, weil wir sie nicht in Worte fassen und erklären können? Im Deutschen gibt es das Wort "Geborgenheit", das nicht nur Sicherheit bedeutet, sondern darüber hinaus beschreibt, welche Form der Sicherheit gemeint ist. Geborgenheit kann nämlich nicht von einer Sicherheitsfirma geleistet werden, sondern nur von geliebten Menschen. Im Englischen gibt es keine adäquate Übersetzung für dieses Konzept. Das Gefühl der Geborgenheit kennen Menschen ohne Deutschkenntnisse aber sicher auch. Mit unterschiedlicher Semantik von Wörtern, bilden sich auch Gedanken innerhalb einer Sprache anders. Daher kann man behaupten, dass Menschen in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denken.

Ein weiterer sehr guter Grund, sich mit anderen Sprachen und Kulturen zu befassen. Wer weiß welche Weltansichten und Meinungen anderer Kulturen dein Weltbild bereichern können? Je mehr wir wissen, desto besser verstehen wir die Welt um uns herum und fallen hoffentlich nie in die "Gedankenlosigkeit" einer einheitlichen Sprache, ohne Emotion und Freiraum.

 

Eure Helena

 

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