Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
Am 28. Juni 2025 tritt in Deutschland ein entscheidendes Gesetz in Kraft: das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Es verpflichtet erstmals die private Wirtschaft zur Barrierefreiheit und setzt damit die EU-Richtlinie 2019/882 (European Accessibility Act) um. In diesem Blogartikel erfahren Sie alles wichtige, was Sie über das BFSG wissen müssen.

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Estimated reading time:7minutesWas ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)?
Offiziell trägt das Gesetz den Titel „Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (BFSG)“ (BFSG). Kern des Gesetzes ist die Regelung, dass „Produkte, die ein Wirtschaftsakteur auf dem Markt bereitstellt und Dienstleistungen, die er anbietet oder erbringt, […] barrierefrei sein [müssen]. Produkte und Dienstleistungen sind barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind.“ (§3 Abs. 1 BFSG) Das BFSG soll künftig also die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen sicherstellen, die im europäischen Binnenmarkt angeboten werden.
Das Gesetz wurde bereits im Sommer 2021 verabschiedet und ist die deutsche Umsetzung der zwei Jahre zuvor beschlossenen EU-Richtlinie über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, dem sogenannten European Accessibility Act. Diese EU-Richtlinie basiert wiederum auf den UN-Behindertenrechtskonventionen (UN-BRK) von 2006. Zum ersten Mal werden auch private Wirtschaftsakteure in Deutschland zu Barrierefreiheitsmaßnahmen verpflichtet.
Was sind die Ziele des BFSG?
Zum einen soll die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen gewährleistet und somit das Recht auf Teilhabe am Leben in der Gesellschaft von Menschen mit Behinderung gestärkt werden. (§1 Abs. 1 BFSG) Als „Menschen mit Behinderung“ definiert der Gesetzgeber Menschen, die längerfristige (länger als 6 Monate) körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können. (§2 Nr. 1 BFSG) Zum anderen soll die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Harmonisierung der Barrierefreiheitsstandards im Binnenmarkt beitragen und somit den freien Warenverkehr innerhalb der EU erleichtern. Dies soll insbesondere kleineren Unternehmen zu Gute kommen.
Wer ist vom BFSG betroffen?
Das Gesetz richtet sich an folgende Wirtschaftsakteure:
-
Hersteller und Bevollmächtigte = (juristische) Personen, die Produkte entwickeln, herstellen oder herstellen lassen und unter eigenem Namen oder Marke auf den Markt bringen.
-
Einführer = Personen, die Produkte aus Drittstaaten in den Unionsmarkt einführen.
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Händler = Personen, die Produkte in der Lieferkette auf dem Markt bereitstellen.
-
Dienstleistungserbringer = Personen, die Dienstleistungen anbieten, müssen sicherstellen, dass diese barrierefrei sind.
Ausgenommen sind Kleinstunternehmen (mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von max. 2 Millionen Euro), die Dienstleistungen anbieten. Diese können sich kostenlos von der Bundesfachstelle Barrierefreiheit beraten lassen. Außerdem stellt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) Leitlinien zur Verfügung, die den Unternehmen helfen sollen, die Barrierefreiheitsanforderungen so gut wie möglich umzusetzen. Produkte von Kleinstunternehmen fallen allerdings unter dass BFSG und müssen dementsprechend barrierefrei sein.
Welche Produkte und Dienstleistungen sind vom BFSG betroffen?
Produkte
Ab dem 28. Juni 2025 dürfen nur noch Produkte in den Verkehr gebracht werden, die folgende Kriterien erfüllen:
- den vorgeschriebenen Barrierefreiheitsanforderungen genügen
- das Konformitätsverfahren durchlaufen haben
- mit einer EU-Konformitätserklärung ausgestattet sein
- eine CE-Kennzeichnung aufweisen
Darunter fallen:
- Hardwaresysteme für Universalrechner und deren Betriebssysteme: Dazu gehören z. B. PCs, Desktops, Notebooks, Smartphones, Tablets und Mobiltelefone.
- Selbstbedienungsterminals: Dazu zählen Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten, interaktive Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen (mit Ausnahme von Terminals, die in Fahrzeuge eingebaut sind). Auch interaktive Telekommunikationsgeräte und interaktive Verbraucherendgeräte für Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten (z.B. Fernsehgeräte mit Internetzugang und Router) fallen darunter.
- E-Book-Lesegeräte
Dienstleistungen
Diese Dienstleistungen dürfen ab Inkrafttreten des BFSG nur angeboten werden, wenn sie den Barrierefreiheitsanforderungen entsprechen:
- Telekommunikationsdienste (z.B. auch Messenger-Dienste)
- in überregionalen Personenbeförderungsdiensten im Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr: Webseiten, auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen & mobile Anwendungen, elektronische Tickets & Ticketdienste, Informationsbereitstellung im Verkehrsdienst (z.B. Reiseinformationen), interaktive Selbstbedienungsterminals
- Bankdienstleistungen für Verbraucher (z.B. Online-Banking)
- E-Books & deren Software
- elektronischer Geschäftsverkehr (z.B. auch in Online-Shops oder Webseiten)
Ausnahmen für Webseiten und mobile Anwendungen (mobile Apps)
- zeitbasierte Medien, die vor dem 18. Juni 2025 veröffentlicht wurden
- Dateiformate von Büro-Anwendungen, welche vor dem 18. Juni 2025 veröffentlicht
- Online-Karten und Kartendienste (Informationen zu Navigationszwecken müssen aber barrierefrei sein)
- Inhalte von Dritten, die nicht selbst finanziert, entwickelt und der eigenen Kontrolle unterliegen
- Internetarchive
Nach den aktuellen Regelungen im BFSG gelten die Anforderungen nicht im B2B-Bereich (Business-to-Buisness) sondern lediglich im Bereich B2C (Business-to-Consumer).
Welche Anforderungen werden an barrierefreie Produkte und Dienstleistungen gestellt?
Die spezifischen Anforderungen an barrierefrei Produkte und Dienstleistungen wurden in der Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) 22. Juni 2022 festgelegt. Das BMAS hat diese gemeinsam mit Vertretern der Länder, Verbänden, der Wirtschaft, des Bundesressorts und der Bundesfachstelle Barrierefreiheit erarbeitet. Darüber hinaus hat das BMAS Leitlinien erstellt, die den Inhalt des BFSG anhand von praktischen Beispielen erläutern. Sie sollen besonders Kleinstunternehmen als Hilfestellung zur Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes dienen. Ebenso wird auf Normen und technische Standards für digitale Barrierefreiheit verwiesen.
Wann tritt das Gesetz in Kraft?
Das BFSG tritt am 28. Juni 2025 in Kraft. Bei Nichteinhaltung drohen Strafzahlungen von bis zu 100.000 Euro. Es gibt aber auch Übergangsbestimmungen. So können Dienstleistungsbringer bis zum 27. Juni 2030 weiterhin Produkte verwenden, die sie vor Inkrafttreten des BFSG rechtmäßig benutzt haben. Selbstbedienungsterminals, die vor Inkrafttreten eingesetzt wurden, dürfen bis zum Ende ihrer wirtschaftlichen Nutzungsdauer, aber nicht länger als 15 Jahre, verwendet werden.
Wer überwacht die Umsetzung des BFSG?
Die Einhaltung und Kontrolle der Standards wird von den Marktüberwachungsbehörden der einzelnen Bundesländer mit Unterstützung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sicher gestellt. Die Marktüberwachung kann Maßnahmen ergreifen, wenn Produkte oder Dienstleistungen nicht den Barrierefreiheitsanforderungen genügen. Im schlimmsten Fall kann die Marktüberwachungsbehörde die Bereitstellung eines nicht barrierefreien Produkts einschränken, untersagen oder sogar dessen Zurücknahme bzw. Rückruf anordnen. Auch bei gegen das BFSG verstoßenden Dienstleistungen ist die Marktüberwachung befugt, nach mehrfacher Ermahnung das betroffene Angebot oder die Erbringung der Dienstleistung zu untersagen.
Welche Rechte haben Verbraucher?
Verbraucher haben das Recht, bei den zuständigen Landesbehörden zu beantragen, dass Maßnahmen gegen Akteure ergriffen werden, die die Standards nicht einhalten. Wird der Antrag abgelehnt, können Verbraucher den Rechtsweg über die Verwaltungsgerichte nehmen. Neben dem Verbraucher können auch anerkannte Verbände und qualifizierte Einrichtungen können im Namen des Verbrauchers oder aus eigener Initiative Verfahrensschritte beantragen. Ein Schlichtungsverfahren ist ebenso möglich.
Dabei stehen Menschen mit Hörbehinderungen und Menschen mit Sprachbehinderungen das Recht zu, im Verwaltungsverfahren in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden Gebärden oder über andere geeignete Kommunikationshilfen zu kommunizieren. Für die dadurch entstehenden Kosten kommt die Marktüberwachungsbehörde auf.
Kritik am BFSG
Die deutsche Umsetzung der EU-Richtlinie steht aber auch in der Kritik von verschiedenen Verbänden und privaten Unternehmen. Die größten Kritikpunkte werden im Folgenden näher beleuchtet.
Viele Sozialverbände begrüßen die Verpflichtung der privaten Wirtschaftsakteure zur Barrierefreiheit. Dennoch sind einige der Ansicht, dass mit dem BFSG die Möglichkeiten der EU-Richtlinie für eine umfassende Barrierefreiheitsgesetzgebung nicht genutzt worden sei. Es wird häufig kritisiert, dass für das BFSG eine gekürzte Fassung der Definition von Barrierefreiheit verwendet wurde, anstatt auf das Behindertengleichstellungsgesetz zu verweisen. Darüber hinaus wird bemängelt, dass das bauliche und berufliche Umfeld komplett von den Bestimmungen ausgelassen wurde. So sei ein barrierefreier Geldautomat an sich eine gute Sache, allerdings nütze das Menschen mit Behinderung wenig, wenn der Geldautomat aufgrund des dortigen baulichen Umfelds, erst gar nicht erreicht werden kann. Viele Verbände fordern außerdem die Ausweitung des BFSG auf den Regional-, Stadt- und Vorortverkehr (ÖPNV). Auch die Übergangsfristen seien besonders für digitale Dienstleistungen zu lang bemessen.
Auf der anderen Seite begrüßen Wirtschaftsvertreter die überwiegend gelungene direkte bzw. 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinie mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes und sprechen sich deutlich gegen eine Gesetzgebung aus, die über die EU-Richtlinie hinausgehe. Darüber hinaus fordern insbesondere Verkehrsunternehmen eine Verlängerung der maximalen Einsatzdauer von Selbstbedienungsterminals, um diese wirtschaftlich bis zum Ende ihrer Nutzungsdauer verwenden zu können. Auch sei eine Verpflichtung zum Rückruf oder Verbot von nicht barrierefreien Produkten oder Dienstleistungen unverhältnismäßig
Sowohl Sozialverbände als auch Wirtschaftsvertreter sehen die Organisation der Marktüberwachung auf Länderebene kritisch und hätten sich eine zentral organisierte Marktüberwachung auf Bundesebene gewünscht.
Warum ist eine freiwillige Umsetzung der BFSG-Anforderungen sinnvoll?
Unternehmen, die die Anforderungen freiwillig umsetzen, können zahlreiche Vorteile genießen:
- Breitere Zielgruppe: Barrierefreie Produkte und Dienstleistungen sind für eine größere Zielgruppe zugänglich, besonders im Hinblick auf die älter werdende Bevölkerung.
- Wettbewerbsvorteil: Unternehmen, die Barrierefreiheitsstandards frühzeitig umsetzen, können sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.
- Zukunftssicherheit: Es ist möglich, dass der Geltungsbereich des BFSG künftig erweitert wird, sodass Unternehmen, die frühzeitig handeln, besser aufgestellt sind.
- Gesellschaftlicher Mehrwert: Barrierefreiheit fördert eine inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft.
Fazit
Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) stellt einen wichtigen Fortschritt auf dem Weg zu mehr Inklusion dar. Es verpflichtet private Wirtschaftsakteure zur Barrierefreiheit und gewährleistet dadurch eine bessere Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben. Trotz einiger Kritikpunkte bietet das Gesetz viele Chancen für Unternehmen und Gesellschaft gleichermaßen. Unternehmen, die die Anforderungen freiwillig und frühzeitig umsetzen, können von vielen Vorteilen profitieren und einen wertvollen Beitrag zu einer inklusiven Gesellschaft leisten.
Quellen und weiterführende Informationen
- Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)
- Richtlinie (EU) 2019/882, European Accessibility Act
- UN-Behindertenrechtskonventionen (UN-BRK):
- Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)
- Bundesfachstelle Barrierefreiheit
- Verordnung über die Barrierefreiheitsanforderungen
- Leitlinien (BMAS)
Fehlen Ihnen Informationen oder haben Sie Fragen? Zögern Sie nicht, sich an die genannten Anlaufstellen zu wenden. Eine inklusive Gesellschaft ist eine Aufgabe, die uns alle betrifft!
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