Kann diese indigene Sprache im digitalen Zeitalter wieder aufblühen?

Die Mehrheit der Paraguayer spricht Guaraní trotz Jahrhunderte des Kolonialismus und der Unterdrückung. Nun wollen Aktivistinnen und Aktivisten, dass die Schriftsprache auch online auflebt.

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An jedem beliebigen Tag drängen sich die Menschen auf dem geschäftigen Markt in Concepción, Paraguay. Die Käufer durchstöbern das bunte Angebot an Obst und Gemüse und halten gelegentlich inne, um mit den Verkäufern zu plaudern oder sich nach einem Preis zu erkundigen. Alte Frauen schauen sich potentielle Käufer von "Yuyos" an, traditionellen Heilkräutern, von denen sie versichern, dass sie jedes Leiden, vom Kater bis zu hohem Cholesterinspiegel, heilen können.

Während die Menschen einkaufen, tratschen und tauschen, sprechen sie mit überwältigender Mehrheit in Guaraní. Sie ist die am weitesten verbreitete indigene Sprache des Landes und wird von mehr als 5 Millionen Paraguayern gesprochen. In einem Land mit 6,8 Millionen Einwohnern ist das eine beachtliche Zahl.

Guaraní ist aus mehreren Gründen einzigartig. Es ist die einzige indigene Sprache in Amerika, die von der Mehrheit der nicht indigenen Bevölkerung gesprochen wird. Sie hat Jahrhunderte des Kolonialismus und der Unterdrückung überlebt.

Aber jenseits der Straßen oder ländlichen Gegenden ist Guaraní auffallend abwesend. Obwohl schriftliche Werke in Guaraní seit dem 17. Jahrhundert existieren, wird es heute vor allem als mündliche Sprache betrachtet. Und das, sagt der Anthropologe und Guaraní-Aktivist David Galeano Olivera, ist ein Problem, insbesondere da die Gesellschaften zunehmend digital werden.

"Wir leben in zwei Welten: der Welt aus Beton und in der virtuellen." sagt Galeano. "Wir müssen darüber nachdenken, was passiert, wenn in der virtuellen Welt nur Spanisch verwendet wird und kein Guaraní. Für mich würde es bedeuten, dass Guaraní nicht existieren würde."

Galeano weigerte sich die Sprache auf so wackligen Füßen stehen zu lassen und arbeitet deshalb hart daran, die Sprache in die digitale Welt zu holen, wie es schon andere Sprachaktivisten getan haben. Im Jahr 2013 hat er z. B. zusammen mit staatlichen und privaten Gruppen eine Guaraní-Version von Mozilla Firefox, oder Aguaratata, wie es in der indigene Sprache heißt, erstellt. Diese Aufgabe beanspruchte über zwei Jahre Arbeit und forderte die Übersetzung von etwa 45.000 Begriffen. 

Galeanos Arbeit und die Zusammenarbeit mit Akademikern und Unterstützern weltweit haben ein gemeinsames Ziel: Guaraní am Leben zu erhalten. Er glaubt, Guaraní ist nicht nur eine Sprache, sondern ein essenzieller Teil jedes Paraguayers. "Es ist unmöglich Paraguay mit seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ohne Guaraní zu verstehen", sagt Galeano. 

Diese digitalen Bemühungen markieren nur ein Kapitel in der Geschichte dieser widerstandsfähigen Sprache. Aber es könnte ein Modell dafür sein, wie andere indigene oder bedrohte Sprachen auf der ganzen Welt im Zeitalter des Internets überleben könnten.

Aktuell ist es kaum möglich Paraguay zu besuchen ohne Guaraní zu sprechen. Traditionelle Lebensmittel, wie ein geeistes Maté-Getränk, "tereré", oder das typische Brot namens "chipa" haben ihren Guaraní-Namen behalten. Es gibt sogar eine Version der Nationalhymne auf Guaraní. 

"Die Situation in Paraguay ist einzigartig", sagt Linguist Shaw N. Gynan, Professor an der Western Washington University im Staat Washington. "In keinem anderen Land der Neuen Welt spricht die große Mehrheit der nicht-indigenen Bevölkerung im ganzen Land eine einzige indigene Sprache.

Während des Krieges des Dreierbündnisses Ende des 19. Jahrhunderts, in dem Argentinien, das brasilianische Reich und Uruguay gegen Paraguay im Bündnis standen, schickten sich Generäle der paraguayischen Armee gegenseitig Nachrichten in Guaraní, damit sie von den Feinden nicht gelesen werden konnten. Auch heute noch verwenden paraguayische Fußballspieler diese Taktik, um ihre Gegner zu verwirren.

Im Gegensatz zu hunderten indigenen Sprachen, die seit der europäischen Kolonisation ab 1500 in Südamerika ausgelöscht wurden, hat Guaraní überlebt. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen. 

1524 erreichten spanische Kolonisten die isolierte Region in Südamerika, welche heute Paraguay ist. Anstatt zu kämpfen, traten sie in Kontakt mir den Guaraní-Menschen, deren Stammesführer verstanden, dass wenn sie den Spaniern erlaubten ihre Töchter zu heiraten, diese Eroberer zu "tovaja" (Schwiegersöhnen) werden würden. Mit diesen Status wären sich sicher vor Angriffen, da die neuen Familienmitglieder sie nicht töten wollen würden. 

 

Vorne und rechts Guaraní Frauen, die mit einem Mann zu Pferd sprechen - ein Bild aus dem Jahr 1837.

 

Spanier hatten 10 bis 20 Ehefrauen, wodurch mit der Zeit eine große Mestizen Bevölkerung (Menschen mit gemischter indigenen und europäischen Herkunft) entstanden ist, die mit Guaraní aufwuchsen. In nur einer Generation ist eine multikulturelle Bevölkerungsgruppe entstanden, die so groß war wie die der Spanier, und zwei Jahrzehnte später waren sie bereits zahlreicher, als die Guaraní selbst.  

Doch die Sprache wurde vom spanischen Reich kaum gefördert. Im Jahr 1770 erließ König Carlos III. von Spanien ein Dekret, dass die Nutzung indigener Sprachen in seinen Kolonien verbot. 

Auch nach der Unabhängigkeit ab 1811, war die Beziehung der Paraguayer zu ihrer Sprache sehr komplex. Seit 1967 erkennt die nationale Konstitution Guaraní und Spanisch als nationale Sprachen an. Dennoch wurde die indigene Sprache in bestimmten staatlichen Gebieten ausgeschlossen, wie vor Gericht oder Verwaltungsangelegenheiten. Manche Bewohner Paraguays erinnern sich noch daran, wie sie gezwungen wurden stundenlang auf Salz- und Maiskörnern zu knien als Strafe für das Sprechen von Guaraní in der Schule.

In den letzten Jahrzehnten versucht die Regierung Paraguays den Stolz in die indigene Sprache wieder zu wecken, da sie von vielen im Land gesprochen wird. Um den Gebrauch von Guaraní weiter zu fördern, erließ die Regierung in 2010 das Sprachen-Gesetz, welches unter anderem regelt, dass alle öffentlichen Arbeiter und die Kinder in der Schule Guaraní lernen sollen, anstatt alle Studenten dazu zu zwingen Spanisch zu sprechen. 

Galeano sagt dennoch, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen. Noch heute kämpfen Guaraní-sprechende Kinder an Spanisch-sprachigen Schulen und die Erwachsenen haben Probleme öffentliche Angebote in Guaraní wahrzunehmen. "Guaraní wurde stigmatisiert... seit Beginn der Kolonisation," sagt Gynan. Er beschreibt sie als die "underdog" Sprache. 

Daher kämpft Galeano seit 34 Jahren dafür die Sprache Guaraní in ein positives Licht zu rücken, in Paraguay und auch außerhalb. 1985 gründete er das Institut für Guaraní Sprache und Kultur zur Förderung der Sprache. 

Das Institut, welches nicht staatlich finanziert wird, hat dabei geholfen die Einstellung zur Sprache zu ändern, erzählt Galeano. Vor wenigen Jahrzehnten hätten Radio DJs und deren Gäste um Erlaubnis bitten müssen Guaraní zu sprechen. Heute ist die Erlaubnis obsolet und Medien ausschließlich in Guaraní sind auf dem Vormarsch. 

 

2017 veröffentlichte die argentinische Comic-Reihe Mafalda in der paraguayischen Sprache Guaraní.

 

Diese Änderungen bedeuten allerdings nicht, dass die Schlacht gewonnen ist. "Im Vergleich zu früher, werden die Menschen nicht mehr dafür bestraft", sagt Galeano. "Aber - und dies müssen wir uns bewusst machen - es gibt immer noch Leute, die es nicht gut heißen. Es gibt einen Sektor, eine Oberschicht... und die haben die Macht."

Die obere Schicht der Paraguayer besucht oft teure Privatschulen, in der sie Englisch lernt und nicht Guaraní. Der aktuelle Präsident des Landes, Mario Abdo Benítez, spricht nur ein paar Sätze der indigenen Sprache, nutzt sie aber, um die Unterstützung der ländlichen Arbeiterklasse zu gewinnen, die mehrheitlich Guaraní als erste Sprache verwendet. Der Klassenunterschied zwischen den Sprachen bleibt eine Hürde für Guaraní-Sprecher und deren Beteiligung an der Regierung, in der hochbezahlten Industrie und anderen mächtigen Bereichen der Gesellschaft. 

Ein Weg um Menschen aus der niedrigeren Klasse zu helfen in die höhere Schicht der Gesellschaft zu gelangen ist deren Sprache in die digitale Welt zu bringen. "Vierzig Prozent der Paraguayer sprechen nur Guaraní, daher wären online Tools in deren Sprache sehr hilfreich für sie." bemerkt Galeano. 

Abgesehen von der Übersetzung von Mozilla Firefox auf Guaraní, haben Galeano und seine Kollegen ein Wikipedia auf Guaraní - Vikipetã - in 2007 erstellt. Die Seite hat jetzt 15.000 Einträge und wächst weiter. 

Galeano hofft, dass online Plattformen wie Vikipetã eine konstante Quelle für Guaraní Geschichten und Kultur für kommende Generationen sein wird. Als nächstes soll die kostenfreie Software LibreOffice übersetzt werden, um Guaraní weltweit verfügbar zu machen. 

Dieses Bemühen ist keineswegs ein Allheilmittel oder der sicherste Weg, um die Vitalität von Guaraní zu gewährleisten - aber es bietet einen einfachen und wirkungsvollen Schritt, um die Sprache zu erhalten und ihre Sprecher zu unterstützen. "Das Internet ist für Guaraní von unschätzbarem Wert", sagt Galeano, "vor allem, weil es die Sprache in die Zukunft projiziert".

 

Über den Author

Frances Jenner ist ein Journalist in Medellín, Kolumbien.

Dieser Artikel wurde ursprünglich auf  SAPIENS.org untter der CC BY-ND 4.0 Lizenz veröffentlicht. Das Original findest du hier.

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